Historischer Hintergrund
Das 19. Jahrhundert war eine Zeit tiefgreifender gesellschaftlicher Veränderungen, die sich auch in der Tanzkultur widerspiegelten. Während die höfischen Tänze der vorangegangenen Jahrhunderte noch stark von Etikette und Repräsentation geprägt waren, entwickelte sich der Tanz nun zunehmend zu einem gesellschaftlichen Massenvergnügen, das auch das aufstrebende Bürgertum für sich entdeckte. Die Grenzen zwischen Adel und Bürgertum begannen zu verschwimmen – und der Tanz wurde zum verbindenden Element zwischen den sozialen Schichten.
Zentrale Tanzform dieser Epoche war der Walzer, der sich aus verschiedenen regionalen Varianten wie dem Ländler entwickelte und ab der Jahrhundertmitte zur dominierenden Tanzform avancierte. Der Wiener Walzer, mit seinem eleganten Dreivierteltakt und den raumgreifenden Drehungen, wurde zum Symbol für Lebensfreude, Romantik und gesellschaftliche Eleganz. Er war nicht nur auf Bällen und in Salons präsent, sondern auch auf Theaterbühnen und in der Musikliteratur – Komponisten wie Johann Strauss Vater und Sohn trugen maßgeblich zur Popularisierung bei.
Neben dem Walzer erfreuten sich auch Tänze wie die Polka, der Galopp, die Mazurka und die Quadrille großer Beliebtheit. Diese Tänze wurden in Tanzsälen, Redouten und bei privaten Festen aufgeführt und folgten oft festen Choreografien, die in Tanzlehrbüchern dokumentiert waren. Tanzmeister unterrichteten in städtischen Tanzschulen und sorgten dafür, dass die Tänze korrekt und stilvoll ausgeführt wurden – der Tanz galt weiterhin als Zeichen von Bildung und gesellschaftlicher Zugehörigkeit.
Mit der zunehmenden Industrialisierung und Urbanisierung entstanden neue Formen des Tanzvergnügens: Öffentliche Tanzveranstaltungen, Tanzcafés und Ballhäuser machten den Tanz für breite Bevölkerungsschichten zugänglich. Gleichzeitig begann sich das Ballett weiterzuentwickeln – Tänzerinnen tanzten nun auf Spitze, und Werke wie Giselle oder Schwanensee prägten das romantische Ballett des 19. Jahrhunderts.
Der Tanz im 19. Jahrhundert war also ein Spiegelbild der gesellschaftlichen Umbrüche: Er verband Tradition und Moderne, Adel und Bürgertum, Kunst und Unterhaltung. Die Tänze dieser Zeit faszinieren bis heute durch ihre musikalische Vielfalt, ihre stilistische Eleganz und ihre Rolle als Ausdruck einer sich wandelnden Gesellschaft.